Golf als Therapie - Ein Schlag gegen den Schlaganfall

Rheinische Post - Freitag 12. September 2003

Von MARTIN BEILS

 

FRECHEN. Begierig saugt Seiji Nagase alle Informationen auf. Der Sportwissenschaftler aus Japan beobachtet die Golfspieler bei ihren ungelenk wirkenden Übungen, schaut zu, wie sie versuchen, den Schläger zu schwingen und so den Widerstand des Körpers zu brechen. Er macht die Lockerungsübungen mit. Er hört Winni Bellinghausen zu, einem der Golflehrer auf der Übungsanlage Gut Clarenhof zwischen Köln-Weiden und Frechen-Königsdorf. Golf als Therapie für Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben? So etwas kennt der Professor von der neu gegründeten Sporthochschule in der Nähe von Kyoto, der sich in diesen Wochen in Europa neue Anregungen für seine Lehrtätigkeit holt, noch nicht!

Seit rund einem Jahr läuft das Pilotprojekt, das von der Deutschen Schlaganfall-Hilfe und privaten Sponsoren finanziert wird und zumindest in Mitteleuropa einzigartig ist. Die Kölnerin Barbara Ullrich, die nach zwei Hirnstammoperationen unter Lähmungserscheinungen litt, rief das Projekt ins Leben. 'Wir haben immer viel Sport getrieben. Nach ihrer Erkrankung haben wir nach einer Sportart gesucht, die wir beide gemeinsam betreiben können', sagt Georg Ullrich, ihr Mann. Trotz anfänglicher Vorbehalte gegen das vermeintlich elitäre Golfspiel fanden sie den Weg zum Gut Clarenhof - und kommen jetzt immer öfter.

Sechs Gruppen mit je acht Teilnehmern treffen sich mittlerweile wöchentlich für eine Stunde. 'Meine Erwartungen sind bei Weitem übertroffen worden', sagt Lothar Ulatowski. Vor 21 Wochen erlitt der Chirurg aus Remscheid einen Schlaganfall: 'Ich war halbseitig total platt'. Als Arzt des Deutschen Schwimm-Verbandes hätte er das Nationalteam bei den Weltmeisterschaften in Barcelona betreuen sollen, 'doch stattdessen habe ich zu Hause vor dem Fernseher gesessen und mir ein Tässchen geheult'. Heute springt er fidel umher. Den Golfball schlägt er bereits wieder 130 Meter weit, vor dem Schlaganfall brachte er es auf 180 Meter. Durch das Golfspiel und die erforderlichen Vorübungen wurden Bewegungsmuster, die im Gehirn gespeichert, jedoch verschüttet waren, wieder aktiviert. Er ist einer der wenigen Teilnehmer, die vor dem Start des Projekt schon einmal einen Golfschläger in der Hand hatten. Die meisten sind Novizen. Durch die Übungen auf dem Golfplatz können die Teilnehmer ihre Koordinations- und Konzentrationsfähigkeit steigern. Den 'kommunikativen Charakter' der Sportart, die Naturnähe und die Ästhetik der Schwungbewegung nennt Bellinghausen als Vorzüge des Golfspiels in der Therapie. 'Und weil der Ball ruht, spielt die Reaktionszeit keine Rolle', sagt der Trainer, 'wer fleißig ist, wird schnell belohnt.'

'Meine neue Beweglichkeit, das ist ein Traum', meint Ulatowksi. Wie er empfinden die meisten, die auf Golf als Teil der Rehabilitation vertrauen. 'Jetzt wollen wir dieses subjektive Gefühl wissenschaftlich untermauern', sagt Ullrich. Er sucht deshalb Kontakt zu einer Hochschule, deren Forscher das Projekt begleiten.

 

RHEINISCHER POST
Freitag, 12. September 2003

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